Wenn Gott ins Spiel kommt
Interview mit dem Texter und Komponisten Wilfried Röhrig zu seinem neuen Musical-Projekt „Gottesspiel“
Nach den beiden Erfolgsmusicals „Auf dem Hochseil“ und „GEFÄHRLICH Franz Reinisch“ kommt 2022 Ihr drittes Musical auf die Bühne: „Gottesspiel“. Es sind diesmal keine historischen Personen wie der junge Pater Josef Kentenich oder Pater Franz Reinisch im Fokus. Es geht um das Thema „Gott und die Welt“. Wie sind Sie darauf gekommen?
Seit Jahren treibt mich die Frage um, welche Rolle Gott und der Glaube an ihn in unserer Welt von heute spielen, genauer gesagt in der westlichen Welt, bei dir und bei mir. Besonders das monumentale Werk „Ein säkulares Zeitalter“ von Charles Taylor hat mir dabei geholfen, die heutige Glaubenssituation und die ganzen Veränderungen und Prozesse, die zu dieser Situation geführt haben, zu verstehen: Wie ist es dazu gekommen, dass aus einer Welt, in der der Glaube an Gott eine Selbstverständlichkeit war, eine Welt geworden ist, in der der Gottesglaube eine Option unter vielen ist?
Das klingt sehr komplex. Wie wollen Sie diese Entwicklung auf der Bühne darstellen?
Ich möchte Grundlinien der heutigen Szenerie beschreiben, also sozusagen das Spielfeld beleuchten, in dem sich der Glaube heute abspielt. Im Musical treten Personen auf, sozusagen Spielfiguren, die ganz unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf Gott haben: Da gibt es z.B. das existenzialistische Paar, das ganz auf eigene Faust lebt und in Gott den Konkurrenten ihrer Freiheit sieht. Da erscheinen traditionalistische Eltern, die das Heil im bloßen Festhalten an der gestrigen Kirche sehen. Da gibt es den frommen Fundamentalisten, der meint, Gott könne wie ein Zauberer die Welt retten. Es agiert ein Naturalist, für den nur diese rein weltliche Welt existiert. Und da gibt es schließlich, als Hauptfiguren, den Spurensucher und die Spurensucherin, denen Gott in ihrem Leben, in ihrem gewöhnlichen Alltag begegnet. Sie gehen einen Weg mit Gott, sind mit ihm im Gespräch, im Austausch, im Dialog.
Fundamentalisten, Atheisten oder Traditionalisten, das sind bekannte Positionen. Was verstehen Sie unter einem Spurensucher oder einer Spurensucherin? Das klingt eher nach einem Kino- oder Fernsehkrimi.
Spurensucher*innen sind für mich Menschen, die Gott und Welt, Gottesglaube und heutige Lebenswirklichkeit zusammenbringen. Ich bin seit meiner Jugend in der Schönstatt-Bewegung engagiert, bei der die Suche nach dem „Gott des Lebens“ eine zentrale Rolle spielt. Gott „spricht“ zu mir durch konkrete Erlebnisse und Erfahrungen in meinem Leben; er spricht durch meine persönliche Lebensgeschichte; er spricht durch gesellschaftliche Ereignisse; er spricht durch das, was uns umtreibt, was in unserem Inneren, in unserer Seele Anklang findet, was dort wächst und nach außen drängt. Es geht also um das „Gott-suchen in allen Dingen“, also die Suche nach Gottes Spuren in unserem Leben, in der Welt von heute.
Darf man davon ausgehen, dass es auf der Bühne Zoff gibt zwischen Spurensucher*innen und
den anderen Figuren?
Ja, aber nicht nur. Das ist sozusagen die intellektuelle „Hintergrundebene“ des Musicals. Die zweite „augenscheinliche Ebene“ für die Zuschauer*innen ist eine spannende Geschichte konkreter Personen mit entsprechender Dramatik. Es ist eine packende Story.
Ist die Geschichte frei erfunden oder gibt es Vorlagen in der Realität?
Es ist eine fiktive Handlung: Thomas und Eva, zwei moderne „Spurensucher*innen“, erwarten den lang ersehnten Nachwuchs. Die Vorfreude ist riesig. Doch schon bald wird die frohe Erwartung getrübt. In einem Gespräch mit seiner Firmenleitung erfährt Thomas, dass sein geplanter beruflicher Aufstieg mit einer Wochenendehe verbunden wäre. Die „heile Welt“ von Thomas und Eva bekommt einen weiteren, noch tieferen Riss, als Leo, ein guter Freund und Arbeitskollege von Thomas, plötzlich und unerwartet an Leukämie erkrankt… Mehr soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden.
Das klingt dramatisch …
Ja, durchaus. Die Geschichte von Thomas und Eva macht deutlich: Das „Gottesspiel“ ist kein „Kinderspiel“. Es ist ernst und zugleich spannend, umfasst Sternstunden und Abgründe, erfordert ganzen Einsatz, erfordert Liebe und Leidenschaft. Es ist ein Abenteuer, Ausgang offen.
Sie haben das Musical „Gottesspiel“ getauft. Das Wort ist interpretationsbedürftig.
In der Tat, unter „Gottesspiel“ kann ganz Verschiedenes und Gegensätzliches verstanden werden: Spielen wir mit Gott? Nehmen wir ihn also überhaupt ernst? Umgekehrt: Spielt Gott mit uns? Sind wir nur Spielzeuge in seiner Hand? Oder auch: Spielen wir Gott? Wenn man die Aussagen von Spielforschern zu Grunde legt, beinhaltet Spielen zum Ersten Zusammenspielen, Miteinander spielen, Interaktion. Spielen eröffnet zum Zweiten Freiräume: da gibt es Möglichkeiten, Chancen. Und Spielen ist drittens „Selbstdarstellung“. Alle Beteiligten können ausprobieren, können sich ausprobieren, ausloten, was möglich ist.
Ist der religiöse Glaube nicht zu ernst, um ihn als „Gottesspiel“ zu etikettieren?
Nein, im Gegenteil. Verbundenheit, Freiheit, Darstellung, darum geht es auch im Gottesglauben. Glauben ist also ein offener Prozess, eine Beziehungsgeschichte, angefangen bei Adam und Eva über das Volk Israel, Jesus von Nazareth, die Geschichte der jungen Kirche bis zur Geschichte der Kirche und Welt heute und unserer je ganz persönlichen Lebensgeschichte.
Wer sind die Akteure auf der Bühne? Wie steht es mit Musik und Tanzchoreographie?
Die rund 25 Akteur*innen sind „Laien mit professionellem Anspruch“, also bühnenerfahrene Erwachsene und junge Erwachsene, die das Ganze als engagiertes Hobby betreiben. Für die Musikarrangements und Musikproduktion ist Hans-Werner Scharnowski verantwortlich, ein absoluter Profi. Das gilt auch von Loreen Fajgl, die die Tanzchoreographie erarbeitet und leitet.
Für wen ist das Musical gedacht?
Das Musical ist gedacht für offene, fragende Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, sei es in der Kirche, am Rand der Kirche oder außerhalb der Kirche. Da gibt es auch keine Altersbegrenzung. Ob alt, ob jung, alle sind willkommen.
Wann kommt das Musical auf die Bühne, wo wird es zu sehen sein?
Der ursprüngliche Tourneeplan war für 2021 gedacht. Premiere und weitere Aufführungen waren vereinbart – und dann kam Corona. Irgendwann war klar: Wir müssen für 2022 planen. – Der neue Probenplan steht und der Tourneeplan ist in Arbeit. – Die Aufführungen sind nicht nur in geeigneten Kirchen, sondern auch in Stadt- und Gemeindehallen geplant. Das hat nicht nur praktische Gründe (Stichworte: Akustik, Bühne, Verdunklungsmöglichkeit), sondern vor allem inhaltliche: Gott und Glaube haben ihren Ort nicht nur in der Kirche und in Kirchen, sondern auch und vor allem mitten in der Welt.